Im Artikel „besser nicht sitzen bleiben“ auf bildungsklick.de kann ich mich schon wieder maßlos über das dumme Geschwätz uninformierter Elternvertreter aufregen:

Am Freitag gibt es das Jahreszeugnis, und in viel zu vielen steht „nicht versetzt“. Weil entgegen landläufiger Meinung das Sitzenbleiben so gut wie nie etwas nützt, rät der Bayerische Elternverband allen Schülern und ihren Eltern, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um das Sitzenbleiben doch noch zu verhindern. „Was nützt es dem Schüler, zehn Fächer, in denen seine Leistung ordentlich war, noch einmal ein ganzes Jahr lang durchzukauen, nur weil er in Geschichte und Englisch Lücken hat?“, sagt Isabell Zacharias, die Landesvorsitzende des Bayerischen Elternverbands

Ja und genau deswegen gibt es das Vorrücken auf Probe in der Schulordnung. Wenn man erwarten kann, dass der Schüler es im nächsten Jahr schafft, seine Lücken zu schließen, dann kann er vorrücken und bis Dezember zeigen, dass er genug Kenntnisse hat, um weiter in dieser Klasse zu bleiben. Gerade das oben zitierte Beispiel ist so ein typischer Fall, wegen dem seit der Einführung dieses Paragraphen keiner mehr durchfällt. Im nächsten Jahr muss man halt in den Lernfächern dann mal was lernen, seine Lücken schließen und schon ist alles gut.

Eltern, die mit dem Zeugnis unzufrieden sind, können sich noch bis zum Ende der ersten Ferienwoche an Lehrer, Beratungslehrer und Schulleiter ihrer Schule wenden oder an die Schulberatung ihres Regierungsbezirks.

Noch besser wäre es, wenn sich Eltern weit vor dem Zeugnis an Lehrer ihrer Kinder wenden würden, um darüber zu sprechen, wie man Noten verbessern kann. Ich meine damit nicht die typische Frage, ob man da mit einem Referat noch was machen kann, sondern eine ehrliche Fehleranalyse. Oft liegts beispielsweise ja daran, dass man eben ohne Vokabeln in der Fremdsprache nicht weit kommt. Da muss man dann gemeinsam nach Möglichkeiten suchen, den Schüler im Vokabellernen zu fördern.
Gerade an unserer Schule verstehe ich das wirklich nicht, wo man in den regelmäßig zu unterschreibenden Notenblättern ja alle Einzelnoten sehen kann, dass man dann erst im Juli ankommt. Bei anderen Schulen ohne Notenblätter weiß man es ja meist spätestens mit den Maiwarnungen, wenn man schon nicht mit seinem Kind über die Schule spricht. Leider ist der Trend zu reiner Notenhuberei im Abschlusszeugnis immer noch ungebrochen. Egal, ob das Kind was kann, hauptsache die Noten passen. Glücklicherweise sind die guten Eltern, die wollen dass ihre Kinder auch was lernen und sich mit den Kindern auch über Schule unterhalten, immer noch in der Mehrzahl.

Das war zumindest der erste Satz, der mir eingefallen ist, als ich via teachersnews auf den Artikel Landeselternbeirat fordert besser Ausbildung der Lehrer in den Stuttgarter Nachrichten gekommen bin.

Die Lehrer dürften Hausaufgaben, Erziehungsprobleme und andere unbequemen Angelegenheiten nicht länger auf die Eltern abwälzen, forderte Staab.  

Leider muss ich hier der Frau Staab widersprechen. Derzeit ist es so, dass eher die Eltern die unangenehmen Dinge auf die Schule und damit auf die Lehrer abwälzen. Wir haben in jeder Klasse mehrere Kinder sitzen

  • die wenig soziale Kompetenz mitbringen, weil sie den Umgang mit anderen nicht vor der Schulzeit gelernt haben
  • die kein Gefühl dafür haben, dass sie einmal nicht im Mittelpunkt stehen können, weil daheim alles nach ihrem Kopf läuft und sie Prinz/Prinzessin sind
  • die erst bei uns lernen, dass es Regeln für ein einfacheres Miteinander gibt, für deren Überschreitung man mit Konsequenzen rechnen muss, weil die eigene Freiheit da endet, wo man die Freiheit eines anderen einschränkt
  • für die immer andere schuld sind, weil sie nicht wissen, dass man für eigene Verfehlungen selbst den Kopf hinhalten muss
  • die nie gelernt haben, dass man sich Belohnung verdienen und Erfolg erarbeiten muss
  • Gerade bei den von Frau Staab angeführten gebildeten und finanzkräftigen Eltern gibt es da durchaus einige, die ihr „unerzogenes“ Kind bei uns an der Schule abgeben und erwarten, dass mit dem Abschluss ein selbstständig denkender, sozial Kompetenter Jugendlicher wieder abgeholt werden kann.

    Kritik übte sie auch an den Vergleichsarbeiten. Diese erhöhten den Druck auf Kinder und Lehrer, würden aber ihrer eigentlichen Aufgabe nicht gerecht. „Am liebsten würde ich sie abschaffen“, sagte Staab.  

    Ich weiß leider nicht genau, wie das im Nachbarbundesland läuft, aber ich persönlich finde gerade zentral gestellte Aufgaben interessant, weil ein schlechter Lehrer dann eben nicht mit einfachen Prüfungen seine schlechten Unterrichtsleistungen verstecken kann. Der Druck auf die Kinder dürfte damit auch kaum größer sein als mit einer Prüfung durch einen guten Lehrer, der es ja auch net nötig hat, genau die Aufgaben der selbst gestellten Prüfung vorher so oft zu üben bis es garantiert die meisten schaffen.Glücklicherweise gibt es aus meiner Sicht mehr gute als schlechte Lehrer und mehr gute als schlechte Eltern. Die meisten KollegInnen machen ihre Arbeit mit Sorgfalt und die meisten Eltern nehmen ihren Erziehungsauftrag auch ernst. Leider fallen die schlechten Beispiele immer mehr auf. Von den vielen guten und erfolgreichen Lehrer-Eltern-Gesprächen kenne ich nach einiger Zeit nur noch grob den Inhalt, aber die Sätze „Mein Kind ist es nicht gewohnt, sich an Regeln halten zu müssen“ einer Siebtklässlermutter oder „Ich kann tagsüber nicht zum Gespräch in die Schule kommen, ich habe ein Geschäft“ einer Mutter, deren Kind wegen immer massiver werdenden Schulproblemen kurz vor dem Ende der Schulkarriere stand, werden für immer in mein Gehirn eingebrannt sein.

Heute lese ich in der Süddeutschen einen diesen Artikel über eine schwedische Doku-Soap, die dort wohl derzeit immer noch für hitzige Debatten sorgt:

Die Doku-Soap des öffentlich-rechtlichen Kanals SVT löste landesweite Debatten über die Bildungspolitik aus, ein Thema, das derzeit in Schweden ohnehin sehr aktuell ist. Die Idee war so simpel wie umstritten: Für ein Halbjahr sollten acht preisgekrönte Pädagogen aus ganz Schweden die alten Lehrer der 9A ablösen und die Klasse zu einer der besten des Landes trimmen.

Damit wurde dann mal wieder gezeigt, was man schon lange in anderen Studien gezeigt hat: Die Quailtät des Unterrichts und auch ein wesentlicher Teil des Lernerfolges hängen von der Qualität des Lehrers ab. Diesmal haben es aber viele Leute im TV gesehen. Die wichtigste Frage, die aber noch nicht geklärt ist, woher man auf einmal die vielen Top-Lehrer nehmen will, um alle Schüler so zu fördern. Außerdem ist bestimmt auch ein Teil des Erfolgs auf die „neue Besen kehren gut Effekte“ und die TV-Präsenz zurückzuführen. Welcher Schüler will sich schon landesweit als nicht-förderfähiger Trottel im TV zeigen?
Auch wenn ich kein Freund dieser Doku-Soaps bin, hat man hier immerhin Mut bewiesen und das wahre Schulleben gezeigt. Noch mehr Mut haben allerdings die „durchschnittlichen“ Lehrer bewiesen, die bei dem Experiment wohl im Vergleich schlecht dastehen.
Wenn diese Serie aber jetzt auch für die Bildung aller schwedischen Kinder was bringen soll, dann muss man nun überlegen, wie man in Zukunft ohne Serie solche Erfolge erreichen kann. Sonst war es mal wieder billige Unterhaltung.

Hatte heute folgende Mail in meinem Postfach:

Liebe Bloggerin, lieber Blogger,

im Rahmen meiner Bachelorarbeit führe ich eine Befragung unter Lehrerinnen und Lehrern sowie Referendarinnen und Referendaren durch, die ein Weblog betreiben, welches sich auch mit dem Thema Schule auseinandersetzt. Ziel meiner Arbeit ist es, erste Erkenntnisse über Lehrer-Weblogs zu gewinnen.

Aus diesem Grund wende ich mich heute an Sie. Ich möchte Sie bitten, sich bis zum 3. August 2008 etwa 15 Minuten Zeit zu nehmen und den Online-Fragebogen auszufüllen. Alle Angaben sind natürlich vollkommen anonym und werden nur für wissenschaftliche Zwecke im Rahmen meiner Bachelorarbeit an der Professur für Medienpädagogik der Universität Augsburg betrachtet. Ich zähle auf Sie!

Und hier geht es zur Umfrage: http://bscw.uni-augsburg.de/survey/index.php?sid=59

Falls Sie an den Ergebnissen meiner Umfrage interessiert sind, haben Sie am Ende des Fragebogens die Möglichkeit, eine E-Mail-Adresse zu hinterlassen.

Sollten Sie Fragen oder weitere Anregungen zur Untersuchung haben, wenden Sie sich gerne per E-Mail an mich: tamara.specht@gmx.net.

Herzliche Grüße und schon jetzt vielen Dank für Ihre Teilnahme,
Tamara Specht

Da werde ich jetzt wohl mal 15 Minuten investieren…

Schön zu den Reaktionen des Bildungsberichts finde ich diesen Kommentar in Die Zeit:

Richtig ist, dass Deutschland ein Bildungsproblem hat: zu viele Schulabbrecher, zu wenig Chancen für Einwandererkinder, zu wenig Studenten. Daran haben dieser Tage Wissenschaftler in einem „Nationalen Bildungsbericht“ erinnert. Richtig ist aber leider auch, dass erschreckend einfältig darüber diskutiert wird.  

Viele Zeitungen haben in den vergangenen Tagen daraus fälschlicherweise ein „ungelöstes Hauptschulproblem“ gemacht. Und die Lehrergewerkschaft GEW fordert ebenso wie die Grünen einmal mehr die Abschaffung der Hauptschule. Nun muss man aber wissen, dass es ein Unterschied ist, ob jemand die Hauptschule besucht oder ob er einen Hauptschulabschluss macht. In Nordrhein-Westfalen etwa wird fast jeder zweite Hauptschulabschluss an einer Gesamtschule abgelegt

So wie ich sehr häufig empfinde: Die GEW vertritt meine Meinung als Lehrer überhaupt nicht und dreht sich die Aussagen von Studien -notfalls mit Zitaten ohne Zusammenhang- so hin, dass die Fakten zu der vertretenen Meinung passen.Nett finde ich auch in dem Zusammenhang, dass sich so viele Bundespolitiker zu Wort melden, ohne zu erwähnen, dass sie leider in der Bildungspolitik dank Länderhoheit nicht viel mitzubestimmen haben.  Vielleicht sollten auch die (Möchtegern)Schulreformer den Artikel über den Zusammenhang Herkunft – Bildungsweg aus Die Zeit vom Januar nehmen:

Selten hat mich das Ergebnis meiner Forschungen so überrascht und enttäuscht wie diesmal: Die Gesamtschule schafft unterm Strich nicht mehr Bildungsgerechtigkeit als die Schulen des gegliederten Schulsystems – entgegen ihrem Anspruch und entgegen den Hoffnungen vieler Schulreformer, denen ich mich verbunden fühle. Die soziale Herkunft, so die bittere Erkenntnis der neuen Studie, entscheidet hierzulande noch langfristiger über den Bildungserfolg der Kinder als bislang angenommen

Nach dem Vorschlag der GEW hat nun auch der bayerische Kultusminister Schneider an die Lehrer appelliert, dass man keine Prüfungen nach Deutschlandspielen ansetzen soll. Schließlich müssen die armen Kinder ja sonst unausgeschlafen eine Prüfung schreiben. Sind ja bald Wahlen, da kann ein bisschen positive Darstellung gegenüber Eltern net schaden. 
Blöd für die Hauptschullehrer, dass sie wegen der Gerechtigkeit dann wohl besser auch keine Prüfungen nach Spielen mit griechischer, italienischer, türkischer… Beteiligung ansetzen sollten. Dumm auch für die Realschüler, die während der EM Abschlussprüfungen schreiben müssen. Dumm auch, dass sich die Prüfungen dann an den anderen Tagen zusammenballen…, aber hauptsache mal wieder eine schülernahe Schlagzeile. 
Apropos: Während der Eishockey-WM, der Handball WM, Fußball WM, Sommerolympiade, Winterolympiade… sollte man auch so eine Empfehlung aussprechen. Vielleicht  gibt man bis zur 7. Klasse auch gleich bis zur großen Pause frei zum Ausschlafen…
Ich halte es für ein weiteres falsches Signal in die Richtung, dass die Schule Rücksicht auf die Freizeitgestaltung nehmen soll, weil der Event einfach wichtiger ist als Unterricht.

Via Teachersnews.net bin ich heute auf einen Artikel im Archiv der ZEIT aufmerksam geworden: Verschleierte Mißstände:

Die Berechnungen gehen davon aus, daß jeder Lehrer im Mittel 30 bis 33 Kinder in einer Klasse betreuen könne. Diese Prämisse ist nicht gerade anspruchsvoll, wenn wir uns daran erinnern, daß zum Beispiel in der Sowjetunion für 17 und in Schweden für 24 Kinder ein Lehrer bereitsteht.

Die Süddeutsche berichtet von den Ergebnissen einer schwedischen Untersuchung:

Eigentlich hätte das Feld kahl sein müssen. Zehn Jahre lang hatten Mitarbeiter des schwedischen Landwirtschaftsministeriums Gift gespritzt, jährlich gepflügt und jede Rapspflanze ausgerupft, die sich trotz dieser Behandlung auf der 1200 Quadratmeter großen Versuchsfläche behaupten konnte. 

Dass trotzdem noch Samen von den genveränderten Pflanzen im Boden waren und neue Pflanzen gewachsen sind, nährt wohl nicht nur bei mir die Befürchtung, dass wir manche Geister, die wir riefen nicht mehr loswerden. Jeder Landwirt sollte sich entsprechend gut überlegen, ob er solches Saatgut verwenden will, wenn er damit seinen Acker für die Zukunft auch schon angesät hat. 

Heute habe ich in  Die Zeit ein Interview mit dem Kinder- und Jugendpsychologen Wolfgang Bergmann gelesen. Im Artikel „Die verlorene soziale Stimme“ beschreibt er dort im Interview auch eine Situation, die wir als Lehrer leider auch aus dem Schulalltag kennen:

„Eigentlich bildet sich die Identität so: Ich interessiere mich für den anderen, weil er mich widerspiegelt. „Ich bin, weil du bist“ – das ist ein, wie ich finde, kluges Sprichwort. Umgekehrt hat das auch funktioniert: Wenn ich einem anderen Schmerz zufüge, fühle ich selbst welchen. Das ist heute nicht mehr so. Statt dessen geht es um die Selbstidolisierung. Rücksicht auf andere Menschen hat dabei keinen Platz mehr. Viele Kinder und Jugendliche sehen den Schmerz oder das Leid anderer nicht. Man nimmt den anderen nur noch verschwommen wahr.“

Eine bessere Beschreibung des Zustandes mancher Kinder habe ich noch nicht erlebt, die keinerlei Schuldbewusstsein zeigen, wenn sie jemanden etwas angetan haben. Im kleinen Rahmen ist es eine Verletzung, die man in der Schule in Kauf nimmt, im Großen eben ein Todesfall, weil man Holzklötze von Autobahnbrücken wirft oder Leute ersticht, die sich über das Verhalten in der S-Bahn beschwert haben.